Auf den ehemaligen Zehnkämpfer Farwick – bekannt in ganz Deutschland – ist geschossen worden. Doch niemand scheint ein Motiv zu haben. Spuren ergeben sich in erst, als Kommissar Grambach bei einem Kriegsspiel im Internet rund um U-Boote Farwick unter den Mitspielern entdeckt. Ohne sich zu erkennen zu geben, beginnt der Kommissar im übertragenen Sinne ein Spiel mit Farwick. Es überrascht nicht, dass der Leser bei den Tauchgängen der U-Boote symbolisch ins Ich der Figuren eindringt und zum Zuschauer eines Mehrkampfes im Inneren wird. Und zwar von Menschen, die mit Mitte vierzig das Alter für eine erste Lebensbilanz erreicht haben. Doch was Grambach sich dann bei seinem Fall zurechtstrickt, erweist sich genauso als Irrweg wie sein gesamtes Leben.
Kommissar Grambach war schon in jungen Jahren so begnadet wie kein Zweiter. Aus der vorgezeichneten kometenhaften Laufbahn wird allerdings nicht viel: Er wird Polizist – dabei hätte es problemlos zum Richter gereicht. „Jurist zu sein war wie jeder andere Beruf das Ende der Offenheit. Und nur auf dieses Offene war Grambach fixiert.“ Ein Lebensverweigerer? Nachdem er als Student das erste Mal mit einer Frau geschlafen hatte, fühlt er am nächsten Tag das, wonach er sich sein Leben lang sehnt: „In der Nacht schliefen sie miteinander. Am nächsten Morgen saßen sie lange auf Petras Bett. Für vielleicht eine Stunde fühlte sich Grambach damals, als müsste er nie wieder an etwas Bestimmtes denken.“ Offenheit und Unbestimmtes sind der Stoff, aus dem Grambach gemacht ist.
Das ist übrigens auch sein Antrieb bei seinen eigenen sportlichen Aktivitäten. Nur heißt das auch, dass er immer wieder Möglichkeiten an sich vorbeigehen lässt – und schließlich sein ganzes Leben. Entscheidungen, die klipp und klar sind, sind seine Sache nicht. Das wird dem Hochbegabten leider zum Verhängnis. In einer – arg holzschnittartigen – Szene gegen Ende des Buches kehrt ihm eine Frau den Rücken, die er gerade erst kennenlernte. Sie stellt ihn vor eine Wahl, bei der er sich nur für die naheliegende Variante hätte entscheiden müssen. Aber er sagt kein Wort und lässt sie gehen. Hätte er die Begabung, sich auch mal zu entscheiden und auf etwas festzulegen, das wird an dieser Stelle klar, wäre sein Leben viel glücklicher verlaufen.
Zum Filter der Geschichte wird die Sprache. Spinnen hält seine Prosa der klaren, kurzen Sätze konsequent durch. Das zu lesen ist stark. Vor allem kommt man allein dadurch gut durch die fast 400 Seiten. (Kritiker fanden das lang.) Gewöhnungsbedürftig bis zum Schluss bleibt allerdings der gelegentlich holprige Satzbau – genauso, wie auch die beiden Hauptpersonen bis zuletzt keine Sympathien gewinnen. Die Sprache entspricht den Charakteren: Der maskuline Sexprotz Farwick („ficken“ steckt ja fast schon im Namen) mag noch belustigen. Aber die Destruktivität, der leichte Wahn, die Extratouren von Grambach – diesem Mann voller Gram -, nein, hier entstehen keine Sympathien. Der Leser nimmt daran teil, wie Grambach einer falschen Spur folgt. Aber Mitleid entsteht nicht.
Und was das Abtauchen betrifft bzw. das Kriegsspiel: Hier konstruiert Spinnen eine schöne Entwicklung. Das höchste Level, erst von Grambach und Farwick symbiotisch gelöst, besteht darin, dass eben keine Schlacht mehr geführt werden muss. Vollkommen ruhig, bei ausgestellten Turbinen, allein von Ebbe und Flut bewegt, fährt das U-Boot durch die Themse bis in die City von London, wo die ganze Besatzung einfach aussteigt und sich unters Volk mischt. Hier taucht sie wieder auf, die (mittelalterliche, europäische) Mystik mit ihrem Streben nach Ruhe, ihrer Bilderlosigkeit und dem Ende aller Kämpfe. Themen, die ja in der Gegenwartsliteratur weiterleben. Immer wieder schön zu sehen.
Wie es sich für einen Krimi gehört, besteht das Buch aus kurzen Szenen. Und es gibt zwei Erzählstränge, die immer wieder zusammenlaufen. Gegen Ende auch sehr dramatisch. Das Buch bedient sich übrigens nicht nur des Krimi-Genres, auch das Liebesdrama steht Pate an der Stelle, als Missverständnisse die gesamte Handlung aus der Bahn zu werfen scheinen. Spinnen setzt das alles ziemlich versiert ein. Im Gegensatz zu den kritischen Einwände einiger Literaturjournalisten ist es für mich ein gutes Buch. Lesevergnügen? Ja.